Satirische Texte von
Werner Tiki Küstenmacher
Erinnerung an die nahe Zukunft

Noch nie hatte es die Satire so schwer wie jetzt, mit der Wirklichkeit Schritt zu halten: Die Konzerne spielen "Wen kaufen wir heute?", ein Medienzar wird italienischer Ministerpräsident, und nach der Zahl 2 folgt in der Computerwelt die Zahl 6. Aber vielleicht ist es dank modernster Datenschnellübertragung doch möglich, von der Realität nicht gleich wieder eingeholt zu werden. Hier also im Schnellgang durch die nächsten 12 Jahre der PC-Geschichte. Die Angaben sind so zuverlässig wie die aller übrigen Zukunftsforschungsinstitute.

1996 Riesenskandal in der Mercedes-Konzernzentrale: Das Tochterunternehmen DEBIS, angeblich "größtes Softwarehaus Europas" hatte jahrzehntelang nie produziert oder programmiert, sondern stets nur horrende Rechnungen an Rechenzentren verschickt. Der Geschäftsführer verteidigt sich damit, dass das ein absolut branchenübliches Verfahren sei.

1997 Intel kündigt vorsichtshalber den Septium Prozessor an. Durch einen klugen Schachzug der Intel-Rechtsanwälte lässt die Firma folgende Behauptung über den Septium patentrechtlich schützen: "Der Septium wird schneller sein als jeder Prozessor, der nach ihm angekündigt wird." Ein Firmenkonsortium aus IBM, Motorola und Deutsche Telekom PC (vormals Apple) kündigt trotzdem den Overpower Accelerator an (OPA), der viermal den Chipsatz des Septium enthalten wird, dabei aber ein Drittel kosten und nur halb so groß sein wird. Die Firma lässt folgenden Satz patentrechtlich schützen: "OPA wird die Computerwelt revolutionieren." Novell kauft Procter&Gamble. Erstes gemeinsames Projekt: NetWare for Kids mit integriertem Nässeschutz. Die Kids-Welle schwappt weiter: Der Deckel der Maggi Disney 5-Minuten-Terrine besteht aus einer CD-ROM. Microsoft veröffentlicht die erste Version von Word für Cairo und nennt sie listigerweise 70.0 - das Programm ist erstmals dermaßen objektorientiert, dass sogar einzelne Buchstaben eines Dokuments von mehreren Betriebssystemen gleichzeitig formatiert werden können.

1998 Novell kontert mit der Version 1 000 000 (ausgesprochen "Mega 1") von WordWare (vormals WordPerfect). Es enthält so viele Funktionen, dass der Hersteller demjenigen Anwender, der alle Features findet, den Kaufpreis zurückerstattet. Ausgeliefert wird die 5,5 Gigabyte umfassende Anwendung in einer anmutigen (aus Umweltgründen essbaren!) roten 10-CD-ROM-Kassette. Die Zeitschrift FOCUS enthüllt ein Geheimabkommen zwischen Intel und IBM: Die beiden angekündigten Prozessoren sollen nie gebaut werden, die Entwicklungsabteilungen bestehen ausschließlich aus PR-Leuten. Die Fachpresse titelt: Erster Fall von Vapor-Hardware. US-Guru John Dvorak in seiner Kolumne: "Aber die Septium-Präsentationen boten die besten Buffets seit der Vorstellung von Apples Lisa!"

1999 Zur Papstwahl veröffentlicht die Microsoft Extraterrestrial Division das neue Word for Vatican, das erstmals eine durchgehend lateinische Makrosprache bietet. Thomas Gottschalk (Ex-Chef von SAT.1) kämpft als SPD-Kandidat um den Posten des Bundeskanzlers. Die SPD hatte aus Geldmangel zuvor zu einer geheimgehaltenen Summe ihren Namen und ihr Logo an Gottschalk verkauft. Die ehemalige SPD firmiert nunmehr unter dem freigewordenen Namen und Logo Apple, laut Parteistrategen ein "freundlicher, in guter Weise Nostalgie und High-Tech verbindender Approach".

2000 Der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika heißt wieder Bill. Der Nachname ist für PC-Kenner kein Geheimnis mehr.Trend: Firmen sponsoren Politiker durch Adoption. Die deutsche Bundespräsidentin Rita Mercedes-Benz trifft auf ihrer ersten Auslandsreise den japanischen Premierminister Matsushita Sony und den frischgebackenen britischen König Camelia Slipeinlage I.

2001 Nintendo kauft Cray Research. Rechtzeitig zum Weihnachtsfest stehen die ersten Exemplare von My first Cray in den Kaufhäusern. Werbeslogan: "Ruckelfreier Cyberspaß fürs besserverdienende Kinderzimmer". Kostenlos im Software-Bundle: Das erotische 4D-Adventure "The Bi-Fi Quest".

2002 Der knitterbare LCD-Bildschirm ist da und soll die Morgenzeitung verdrängen. Hersteller Sharp (ein Unternehmen der Rupert-Murdoch-Gruppe) ist es sogar gelungen, die abfärbende Druckerschwärze zu simulieren.

2003 Microsoft zieht in die neue Firmenzentrale in der Stadt Microsoft im US-Bundesstaat Microsoft. Zur Feier des Tages verkündet der amerikanische Präsident, dass auch die Hawaii-Inseln neue Namen erhalten: Word (vorher Oahu), Excel (Maui), Access (Kauai) und Powerpoint (The Big Island).

2004 Philippe "light" Kahn (der einst dickste Softwaremogul der Welt hat dank einer Slimplus-Diät über 64 K abgenommen) moderiert in RTL plus plus ("der flotte Sender für die Besserverdienenden") die neue Show "Der Preis ist scheißegal": Wer von den eingeladenen Vorstandsvorsitzenden den Preis der vorgestellten Firmen auf eine halbe Milliarde Dollar genau schätzen kann, darf sie kaufen.

2005 Die größte Abteilung der Firma Microsoft, die Rechtsabteilung, hat eine internationale Gesetzeslücke ausfindig gemacht und beansprucht das globale Copyright für das Wetter. Ohne Erlaubnis von Microsoft darf ab dem 1.7.04 kein Wetterbericht mehr gesendet werden. Einzelne nationale Niederlassungen versuchen, gerichtlich gegen schlechtes Wetter vorzugehen. Private Meinungen über das Wetter bleiben für eine Übergangszeit copyrightfrei.

2006 Microsoft, bisher ohne eigenes Hardwareunternehmen, kauft in einer vielbeachteten und akribisch vorbereiteten Aktion in der Nacht vom 3. zum 4. Juli 2005 alle Computerhersteller der Welt auf. Firmenmotto: You are at my fingertips.

2007 Deutsche Behörden erwägen, probeweise in einem Feldversuch zu testen, ob Großrechenanlagen auch deutsche Umlaute und Kleinbuchstaben verarbeiten koennen.

Real Virtuality

Grauenerregende Dinge sind eingetreten, und wie immer kommen sie aus dem Hauptquartier von Microsoft. Windows 95, sei, so die Behauptung, intuitiv und natürlich zu bedienen.Doch halt! Niemals wird eine Maschine natürlich sein. Im Gegenteil. Wir fordern an dieser Stelle mit nachfolgendem, in sechs logischen Stufen aufgebautem Manifest die eiserne Konsequenz: Schluss mit der "natürlichen" Bedienung von Software! Her mit der softwarekompatiblen Bedienung der Natur!

Stufe eins, ohne großen Aufwand realisierbar: Abkürzung aller Eigennamen und möglichst auch der wichtigsten Substantive auf die 8+3-Konvention, die sich allgemein durchgesetzt hat. Zugleich sollten, wie bereits in allen Großcomputern seit vielen Jahren mit großem Erfolg verwirklicht, die störenden deutschen Umlaute samt Kleinbuchstaben eingespart werden. KUESTEN.HR oder DAEHLMAN.FR sind ungleich prägnanter als das umständliche "Herr Küstenmacher" oder "Frau Dählmann". Stufe zwei: Kreative Umsetzung des "erst markieren"-Prinzips im Alltag. Ein Malermeister markiert eine Wand, wählt die gewünschte Farbe und streicht sie mit einem einfachen "ok" an. Der tischlernde Heimwerker muss lediglich seine Bretter markieren, die Multifunktionssäge mit den passenden Einstellungen versehen und die Aktion "ausführen". In der Küche wird Wasser markiert, die erforderliche Temperatur gewählt und mit Hilfe der Eingabetaste am Herd zum Kochen gebracht. Schließlich wird das kochende Wasser markiert, in einem "Optionen"-Schrank die Nudelsorte gewählt... tja, so einfach könnte unser Leben sein.

Stufe drei: Der umständliche altmodische Lichtschalter mit zwei Stellungen lässt sich ohne großen Aufwand durch einen einfachen Doppeltaster ersetzen. Ein Doppelklick auf den linken Taster schaltet die Raumbeleuchtung ein, ein einfacher Klick lässt ein Menü ausklappen, mit dem sich die Raumbeleuchtung wechseln, wiederherstellen oder schließen lässt. Der rechte Taster dient zum Aktivieren der besonderen Eigenschaften der Lichtquelle. Die Benutzer mögen anfänglich ein paar Probleme haben, doch werden sie durch den attraktiven 3D-Look sämtlicher Bedienelemente dafür mehr als entschädigt. Durch stringente Einhaltung einiger weniger Konventionen ist der objektorientierte Haushalt nicht mehr fern. Kein Bewohner wird dann mehr mühsam überlegen müssen, ob er einen Toaster, die Badewannenarmatur oder die Haustürklingel vor sich hat.

Vierte Stufe: Höchste Zeit, dass das Stichwort "konfigurieren" in das Alltagsleben einzieht. Viel zu lange wurden Möbelstücke oder Zimmerpflanzen gedankenlos in unser Wohn-Environment gestellt. Der Haushalt der Zukunft ist mit einigen wenigen SYSTEM- und INI-Listen ausgestattet, in den neue Objekte eingetragen werden müssen bzw. sich selbsttätig dort installieren. Treten dabei Unstimmigkeiten auf, lassen sich die Einrichtungsgegenstände auf der Unterseite entsprechend einstellen. Änderungen vermerken die Benutzer auf einer eigenen INI-Liste für jeden Gegenstand. Am Morgen eines jeden Tages wird geprüft, ob die Einrichtung noch den Listeneinträgen entspricht. Kommt es dabei zu Fehlermeldungen, lassen sich die Listen einfach von Hand ändern, wobei natürlich auf die korrekte Schreibweise zu achten ist.

Das führt zu Punkt fünf: Die Einführung unterschiedlicher Bussysteme im Alltag, die abgestimmt sind auf die individuellen Bedürfnisse und die finanziellen Möglichkeiten jedes Einzelnen. Dadurch passt nicht mehr einfach jeder Teppich in jedes beliebige Haus oder jedes Buch in jedes beliebige Regal. Die Differenzierung in ISAHome, EISAHome, LocalHome, PCIHome, MicroHaus und ApfelHeim (zuzüglich weiterer aktueller Neuentwicklungen) wird - wie in der PC-Industrie - den Wettbewerb und die Innovationskräfte ankurbeln, durch den erhöhten Beratungsbedarf Arbeitsplätze schaffen und sich unterm Strich zweifellos volkswirtschaftlich positiv auswirken - allein schon durch den Update-Effekt: Wer sein Haus mit einem verbesserten Bussystem ausgestattet hat (weil es für sein altes System z.B. keine passenden Gartengeräte mehr gibt), wird sich überlegen, alle übrigen Einrichtungsgegenstände durch neue Modelle zu ersetzen, die die Vorzüge des neuen HausBusses optimal nutzen.

Den Höhepunkt aber stellt Stufe sechs unseres Manifestes dar: Die Multifizierung unserer Lebenswirklichkeit, das Ende der eindimensionalen Öde des Alltags. Dank aktivierter Multitaskingfähigkeiten wird der Fernsehapparat der Zukunft eine Sendung auf dem Bildschirm zeigen und währenddessen im Hintergrund unhörbar mehrere Stereoradioprogramme gleichzeitig empfangen. Während die Tiefkühltruhe vordergründig mit Kühlung beschäftigt ist, wird sie simultan und ohne dass davon auch nur die geringste Wirkung zu bemerken ist, die Aufgaben einer Kaffemühle, eines Dosenöffners und eines Waffeleisens übernehmen. Neu dabei: Geht beispielsweise das Waffeleisen kaputt, läuft die Kühltruhe weiter. Der multitaskende Mensch schließlich kann beliebige Anteile seiner installierten Zeitscheibe dafür reservieren, vollkommen lautlos beliebte Melodien zu singen, während er im Vordergrund telefoniert. Ja, noch besser: Just in dem Moment, in dem er die letzten Zeilen der Kolumne in einer Zeitschrift liest, kann er synchron ein Manifest unterzeichnen, Beifall klatschen und sich glücklich preisen, in einer unglaublichen wunderbaren Welt leben zu dürfen.

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